Postkolonialismus-Apologetik nach dem 7. Oktober
eine kritische Analyse (Online-Veranstaltung)
Vortrag
Nach dem Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 zeigte sich in der globalen Reaktion auf die Ereignisse schnell, dass der Angriff auf den jüdischen Staat eine neue Welle antisemitischer Enthemmung nach sich ziehen würde. Insbesondere auch im „progressiven“ Milieu folgte eine – zwar nicht neue, aber in ihrer Militanz doch erschreckende – antizionistische Mobilisierung. Die Delegitimierung Israels als „unechte“, „falsche“, „koloniale“, „imperiale“ eben „zionistische Entität“ wurde dabei von einer neu politisierten Generation von Aktivist:innen vorgetragen, denen der Begriff des Zionismus wenige Wochen vorher vermutlich noch nichts gesagt hatte. Dabei geht es allerdings nicht, wie man vielleicht meinen möchte, um eine allgemeine Skepsis oder Feindschaft gegenüber – auch militärisch bedingter – Staatlichkeit. Der Einsatz für die palästinensische, explizit nationale Befreiung, einer vermeintlichen „Dekolonialisierung mit allen nötigen Mitteln“ sowie die politische Verteidigung der Regime autoritär geführter Nationalstaaten wie Iran oder Syrien von Seite der Aktivist:innen zeugen vielmehr davon, dass es sich bei dem Hass auf den jüdischen Staat eben um keine „Staatskritik“, sondern eher um eine Zwangsvorstellung handelt. So scheint Israel in dieser Vorstellung für ein besonderes Verhängnis zu stehen, die bloße staatliche Existenz angeblich alle möglichen emanzipatorischen Ziele zu verhindern: vom Kampf gegen den Klimawandel bis zum Sturz des globalen Patriarchats.
Angesichts dieser Obsession, die es nahelegt, von einer Fortführung der Muster des modernen Erlösungsantisemitismus „mit geopolitischen Mitteln“ auszugehen, ist es nicht verwunderlich, dass es sich als eine der drei „Faustregeln“ durchgesetzt hat bei der Bewertung von Aussagen zum Jüdischen Staat, auf sogenannte „doppelte Standards“ zu achten, um herauszufinden, ob es sich bei der Aussage um Antisemitismus oder »legitime« Kritik staatlicher Politik handelt. Wird Israel also behandelt wie jeder andere Staat oder finden sich unausgesprochen Vorurteile oder unzulässig verengte Bewertungsstandards in der Betrachtung des jüdischen Staats? Daraus folgt zwangsläufig die Idee, dass Israel eben umgekehrt so zu verstehen und zu behandeln wäre, wie „ein Staat wie jeder andere“. Eine Idee, die nicht nur von den antizionistischen Vernichtungsfantasien, sondern auch von deutscher Politik („Staatsräson“) aber auch gelegentlich von linker- wie konservativer Überidentifikation mit dem jüdischen Staat konterkariert ist. Ganz so einfach scheint es also mit der „normalen“ Staatlichkeit Israels auch nicht zu sein.
Ausgehend von der Annahme, dass der Antizionismus als wesentlicher Teil des modernen Antisemitismus – auch schon vor der israelischen Staatsgründung – verstanden werden muss, bemüht sich der Vortrag, das Verhältnis zwischen einer an Emanzipation interessierten materialistischen Staatskritik und den Aporien des zionistischen Projekts zu entwickeln.
Luise Henckel hat Kulturwissenschaften, Politikwissenschaft und Politische Theorie studiert und lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie hält Vorträge, gibt Workshops und publiziert zur frühen Kritischen Theorie, materialistischer Staatskritik und der Geschichte des (linken) Antisemitismus. Publikationen: Henckel, Luise und Kolja Huth (vsl. Frühjahr 2025): „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“. Antisemitismus und die Genese der Grünen 1973-1991, in: Marc Seul et. al. (Hg.): Politische Parteien und Antisemitismus. Opladen und Berlin: Barbara Budrich.
eine kritische Analyse (Online-Veranstaltung)
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