1948. Der erste arabisch-israelische Krieg
Buchvorstellung
Im März 1923 veröffentlichte Georg Lukács seine Aufsatzsammlung Geschichte und Klassenbewusstsein, die rasch zu einem ebenso berühmten wie umstrittenen Klassiker des unorthodoxen, sogenannten westlichen Marxismus wurde. Als einer der ersten marxistischen Intellektuellen reagierte Lukács in einer geschichtsprägenden Zeit auf die „ideologische Krise“ der Arbeiterschaft, die sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs wechselseitig massakrierte, anstatt die kapitalistischen Verhältnisse in Westeuropa umzustürzen. Die bloße Feststellung einer ideologischen Krise genügte bereits, um innerhalb des Parteikommunismus für Misstrauen gegenüber seiner Person bis hin zur offenen Ablehnung zu sorgen. Dabei wusste sich Lukács im entscheidenden Punkt mit der marxistischen Orthodoxie einig: Am historisch verbürgten revolutionären Subjekt Proletariat und dem Glauben an die kurz bevorstehende Revolution sei unbedingt festzuhalten. Das Bedürfnis nach theoretischer Absicherung dieser erschütterten Gewissheit kann sogar als der zentrale Beweggrund der gesamten theoretischen Anstrengungen von Geschichte und Klassenbewusstsein gelten.
Im Vortrag soll Lukács’ Beitrag zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft auf die intellektuell einzig angemessene Weise gewürdigt werden – durch rückhaltlose Kritik. Dessen in sich gebrochene Revolutionstheorie fragt zu Recht nach dem Subjekt der Befreiung, schließt sich allerdings zu einer hegelianisierenden geschichtsphilosophischen Konstruktion zusammen, vor der die Individuen als autonome, moralisch verantwortliche Akteure letztlich verschwinden. Anhand der Argumentation insbesondere des avanciertesten Aufsatzes – Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats – soll ein prinzipielles Problem sich materialistisch verstehender Erkenntniskritik aufgezeigt werden: Sie tendiert dazu, die Spontaneität menschlichen Denkens und Handelns im gesellschaftlichen Sein aufzulösen. Es sei seine spezifische Stellung im Produktionsprozess, die dem Proletariat ein Erkenntnisprivileg in Bezug auf die kapitalistische Totalität verschaffe. Als Theorie der Revolution bleibt auch die reflektierte Revolutionstheorie in sich aporetisch, weil sie den historischen Gang der menschlichen Befreiung als einen in sich notwendigen, gesetzmäßig verfassten Prozess vollständig darstellen muss. Was ihr damit abgeht, wäre allein durch den von Lukács selbst angestoßenen Rückgriff auf die Tradition der idealistischen Philosophie zu bestimmen: ein emphatischer Begriff menschlicher Freiheit.
Für die Diskussion könnte außerdem erwogen werden, inwieweit Lukács’ Revolutionstheorie Elemente dessen vorwegnimmt, was in postmoderner Theorie die bis zum Exzess getriebene „Situiertheit des Wissens“ und die damit einhergehende Relativierung von Wahrheit ausmacht. Was hat die dereinst marxistisch reklamierte „Stellung im Produktionsprozess“ mit der heutzutage postmodern in Anspruch genommenen „Diskriminierungserfahrung“ gemein, wenn es um die Erkenntnis von gesellschaflichen Zusammenhängen geht?
Andreas Stahl leitet die Beratungsstelle gegen Antisemitismus an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen (RIAS NRW). Er ist seit vielen Jahren in der politischen Bildung tätig und Mitherausgeber der Bände „Konformistische Rebellen“ (2020), „Subjekt und Befreiung“ (2022), „Probleme des Antirassismus“ (2022), „Erinnern als höchste Form des Vergessens?“ (2023) sowie „Gesichter des politischen Islam“ (2023). Zudem ist er Gründungsmitglied der Gesellschaft für kritische Bildung und Mitglied des Centrum für Antisemitismus- und Rassismusforschung (CARS) Aachen.
Michael Heidemann studierte Philosophie und Politikwissenschaften in Münster und Oldenburg, ist unter anderem Autor der Zeitschrift sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik und Autor des Sammelbandes „Subjekt und Befreiung“.
Die Veranstaltung ist Teil der Reihe Ringvorlesung Kritische Theorie 23/24
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