Verleugnet, verhöhnt, vergessen
Zur mangelnden feministischen Solidarität in Folge des 7. Oktobers
Vortrag
In ihrer Komplexität, Größenordnung und Tragweite stellen die Gefahren des Klimawandels andere gesellschaftliche Probleme unserer Zeit in den Schatten. Die Dynamik der Erderwärmung erfordert dringend Maßnahmen. Sonst erreichen wir einen Point of no Return, ab dem (erwartbare) Kipppunkte und Rückkopplungseffekte des Klimasystems menschliches Eingreifen gegen die weitere Erderwärmung unmöglich machen. 55 Jahre nach der Entwicklung des ersten globalen Klimamodells, 50 Jahre nach der ersten Umweltkonferenz in Stockholm und 25 Jahre nach dem Beschluss des Kyoto-Protokolls ergibt sich allerdings die Frage, ob die bestehende Gesellschaft letztlich zu der Bewältigung einer solchen Aufgabe in der Lage ist. Wie ist bei der Allgegenwart des Themas im Privaten wie im Politischen, dem Ausmaß globaler Protestbewegungen und der Existenz verbindlicher multilateraler Beschlüsse zum Klimaschutz der stetige Anstieg der jährlichen weltweiten Emissionen zu erklären? Ist mit Blick auf dieses globale Scheitern von einer Systemimmanenz des Klimawandels zu sprechen?
Presseberichte:
„Endzeit, Yoga, Natur. Die Teilnehmer des Kongresses »Klimawandel und Gesellschaftskritik« umreißen ihre Vorträge zu Apokalypse, Achtsamkeit und Naturbegriff“ (19.05.2022, Jungle World)
Lara Wenzel: „Freiheit für die Enkel? Bei dem Kongress »Klimawandel und Gesellschaftskritik« in Oldenburg wurde das apokalyptische Denken einer Kritik unterzogen“ (29.05.2022, neues deutschland)
Klima, Wissenschaft, Kapital - Hans-Georg Bensch
Ist „die“ Wissenschaft tatsächlich wertfrei? Oder kommt die angebliche „Wertfreiheit“ unterm Kapital letztendlich auf Relativierung von wissenschaftlicher Erkenntnis heraus, kurz: ein interessiertes Desinteresse an der Wahrheit? Solange Protest an der Klimapolitik nicht über einen kritischen Wissenschaftsbegriff verfügt und nur fordert „Wissenschaftliche Einsicht soll politische Entscheidungen bestimmen“, ist solch ein Protest schon den herrschenden Interessen auf den Leim gegangen und hat den emphatischen Wissenschaftsbegriff einer Kritischen Theorie preisgegeben!
Zu viel sind immer die anderen. Der Einfluss des Malthusianismus auf die Öko-Debatte – Peter Bierl
Deutschland soll die Grenzen schließen, um die Afrikaner zu einer „ökologisch nachhaltigen Bevölkerungspolitik“ zu bewegen, erklärte Björn Höcke (AfD). Dort gebe es zu viele Menschen. In der Schweiz sammelte die Gruppe Ecopop über hunderttausend Unterschriften gegen Einwanderung und Bevölkerungszuwachs. Ecopop ist Teil einer internationalen Bewegung, die eine Überbevölkerung des Planeten beschwört und bekämpfen will. Dazu gehören Strömungen und Gruppen aus der Umweltbewegung, wie Tiefenökologie, Bioregionalismus oder die Initiative Ökosozialismus. Dabei weisen alle Daten darauf hin, dass sich die Menschheit im demographischen Übergang befindet, der zu einer stabilen und anschließend sinkenden Bevölkerungszahl führen wird.
Das Horrorszenario von der Überbevölkerung geht auf den britischen Ökonomen Thomas Malthus zurück. Scharfe Kritik kam von Marx, der Malthus bezichtigte, die Armen zum Hungertod zu verdammen. Marx analysierte stattdessen eine relative Überbevölkerung, die historische und soziale Ursachen hat, abhängig vom Verwertungsbedarf des Kapitals.
Seit den 1960er-Jahren stigmatisierten Umweltschützer*innen Menschen im globalen Süden mit Schlagworten wie Bevölkerungsexplosion oder Bevölkerungsbombe. Biozentristen, Tierrechtler und manche Postwachstums-Fans halten auch den Norden für überbevölkert. Der Journalist Peter Bierl analysiert in dem Vortrag die Aktualität des Überbevölkerungsdiskurses und seine historische Entwicklung und zeigt, dass solche Vorstellungen im linken, liberalen und rechten politischen Spektrum zu finden sind.
Anmerkungen zum Ökofaschismus. Umweltschutz von rechts – Natascha Strobl
Umwelt und Umweltschutz haben eine lange Tradition in der politischen Rechten, die bis zu den Anfängen des Umweltschutzes in Deutschland im 19. Jahrhundert zurückreicht. In der völkischen Bewegung wurde bereits eine Verbindung konstruiert zwischen einer ‚gesunden‘ Natur und einer ‚gesunden‘ (sprich homogenen) ‚Rasse‘ und fand sich in der „Blut und Boden“-Ideologie wieder. Dieses Denken wurde zudem mit den zur selben Zeit populären sozialdarwinistischen Ideen vermischt. Daraus entwickelte sich die Vorstellung vom Recht der stärkeren ‚Rasse‘ und von einem Auftrag, dem Gesetz der Natur entsprechend, diese ‚rein‘ zu halten, indem unerwünschte, den ‚Volkskörper‘ vermeintlich schwächende, Elemente ausgesondert werden. Die Vorstellung, mit Hilfe von Gesetzen nicht nur den Arterhalt im Tierreich zu unterstützen, sondern auch in der Gesellschaft mit Eugenik Biopolitik zu betreiben, wurde im 20. Jahrhundert noch populärer und fand im gesamten politischen Spektrum Widerhall, wenngleich aus sehr verschiedenen Überlegungen heraus.
Im Nationalsozialismus kamen insbesondere in der SS u.a. mit Heinrich Himmer und Walther Darré Menschen an die Macht, die ihre menschenfeindlichen ‚Zuchtgedanken‘ in die Tat umsetzten und dabei wesentlicher Teil der NS-Vernichtungsmaschinerie waren. Doch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage Deutschlands waren die Ideen nicht aus der Welt. Das Phänomen, menscheinfeindliche, antidemokratische Vorstellungen mit Umweltschutz zu kombinieren, fand weltweit Anhänger:innen. Eines der prominentesten Gesichter dieser Bewegung war der Finne Pentti Linkola, der als Lösung der drohenden ökologischen Katastrophe einerseits eine Abkehr von westlichen Konsumgeselllschaft und andererseits eine drastische Reduzierung der Weltbevölkerung forderte. Von der Corona-Pandemie erhoffte er sich folgerichtig eine Verlangsamung der Zerstörung der Erde.
Einführung in die Grundbegriffe marxscher Gesellschaftskritik – Ingo Elbe
Karl Marx analysiert die bürgerliche Gesellschaft als ein System, in dem alle Menschen den strukturellen Zwängen des Kapitals unterworfen sind. Nicht Entfaltung und nachhaltige Bedürfnisbefriedigung der Menschen, sondern Profitproduktion durch Ausbeutung von Lohnarbeit ist Marx zufolge das objektive, von den Strukturen einer Gesellschaft des Privateigentums und Marktes aufgezwungene Ziel der „Wirtschaft“.
Der Workshop stellt Grundbegriffe der Kritik der politischen Ökonomie wie Wert, Geld, Kapital und Fetisch vor, erläutert, was es mit Marx‘ Unterscheidung von Stoff- und Form-Aspekt der materiellen Reproduktion auf sich hat, was es bedeutet, dass man den gesellschaftlichen Zusammenhang ‚in der Hosentasche mit sich herumtragen‘ kann und warum Marx zufolge die kapitalistische Produktionsweise „nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses“ entwickelt, „indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“.
Die Ökosozialistische Herausforderung – Jan Hoff
Ein an Marx orientierter libertärer Sozialismus muss sich auf kritische Weise mit dem Ökosozialismus auseinandersetzen. Ein prüfender Blick auf Vergangenheit und Gegenwart der ökosozialistischen Strömung kann autoritär-etatistische Tendenzen im politischen Denken, fragwürdige geschichtsteleologische Denkmuster, Fehlinterpretationen wichtiger Marxscher Textstellen, zusammenbruchstheoretische Fehleinschätzungen der kapitalistischen Entwicklung, unseriöse Übertreibungen, die hoffnungsgeleitete ›Entdeckung‹ eines ›Umweltproletariats‹ als neues revolutionäres Subjekt und die leichtfertige Abkehr von wertvollen Marxschen wert- und emanzipationstheoretischen Einsichten entdecken. In politischer Hinsicht werden sogar proimperialistische Tendenzen sichtbar, die sich in ein ökosozialistisches Gewand kleiden.
Das robuste, naturwissenschaftlich konstruierte Wissen über den menschgemachten Klimawandel und seine Perspektiven wird skizziert, und Begriffe wie Detektion, Attribution, Anpassung und Mitigation erörtert. Die Rolle dieses Wissens im politischen Willensbildungsprozeß besteht in der Bereitstellung eines Spektrums von Handlungsoptionen, und deren Bewertung im Hinblick auf Wirkung und Effizienz, nicht in der Vorgabe von Lösungen – es gilt „listen to the science“, nicht „follow the science“.
Der menschengemachte Klimawandel stellt die größte und potenziell destruktivste gesellschaftliche Problematik unserer Zeit dar. Ist zwar das Wissen um die möglichen Auswirkungen in der Klimabewegung und Naturwissenschaft seit Mitte der 80er Jahre, in den politischen Institutionen seit den frühen 2000ern und im gesellschaftlichen Mainstream spätestens seit der Jugendprotestbewegung 2019 angekommen, so tut sich zwischen diesem Wissen und der effektiven Bekämpfung der Ursachen jener Auswirkungen ein Spalt auf. Die gegenwärtigen politischen Instanzen, Staaten und internationalen Organisationen scheitern an der Implementation wirksamer Maßnahmen zur Begrenzung des, auf lange wie kurze Sicht, destruktiven Naturverhältnisses der gegenwärtigen Gesellschaft. So setzt beispielsweise das Paris Agreement zur Einhegung der schlimmsten Folgen wesentlich auf Nationally Defined Contributions (NDCs) vonseiten der ratifizierenden Länder, eine Liste, die nahezu die gesamte Staatengemeinschaft umfasst. Doch die ursprünglichen Hoffnungen auf sich sukzessive und kompetitiv radikalisierende nationale Beiträge hat sich gründlich zerschlagen. Selbst eine mögliche Einhaltung der eingereichten NDCs wird die pessimistischeren Ziele des Pariser Abkommens verfehlen.
Angesichts dieses, lediglich beispielhaften, Scheiterns nicht nur gegenüber den Erfordernissen der effektiven Begrenzung negativer menschlicher Einwirkungen auf das globale Klima, sondern auch an den moderaten Ansprüchen des politischen Systems gemessen, diskutiert dieses Panel die Ursachen der Implementationsschwierigkeit umweltschützender Erkenntnisse im bestehenden politischen Rahmen. Hierbei sollen auch die Grenzen des Politischen gegenüber den ökonomischen Strukturbedingungen, die Rolle nicht-institutioneller politischer Akteure wie der Fridays-for-Future Bewegung und das Potenzial der Technik beleuchtet werden.
Es kommen Perspektiven aus naturwissenschaftlicher Klimaforschung, Politik, Klimaaktivismus, Ideologie- und Gesellschaftskritik zu Wort. Es diskutieren Rebecca Harms, Wolfgang M. Schmitt, Asuka Kähler, Hans von Storch und Julian Bierwirth.
Weltuntergangsphantasien: Zum romantischen Erbe moderner Apokalyptik – Jenniver Stevens
No Nature, No Future – Der „Weltuntergang“ ist und bleibt omnipräsent. Er ist es auch in der Klimabewegung, an der zeitgenössische Beschäftigungen mit der Apokalyptik nicht vorbeikommen. In Anbetracht der umfassenden Naturzerstörung und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen scheint kaum eine Frage umstrittener als diejenige, ob man es bei Greta Thunberg nur mit einer zornigen Apokalyptikerin oder doch einer mahnenden Visionärin zu tun hat. Dagegen will der folgende Vortrag zeigen, dass die Vorstellung vom „Ende der Welt, wie wir es kennen“ kein spätmodernes Phänomen des 20. oder 21. Jahrhunderts ist, sondern seine Geschichte bis in die historische Romantik zurückreicht. Schlaglichtartig soll anhand von literarischen Beispielen des hier verhandelten Mensch-Natur-Verhältnisses das romantische Erbe in einer zivilisationskritischen Apokalyptik diskutiert und erste Kontinuitäten wie Diskontinuitäten zu heutigen Krisenreaktionen angerissen werden.
Die Dystopie der Heißzeit und der Kairós der Klimabewegung - Geschichtsphilosophische Betrachtungen zur Klimakrise – Alexander Neupert-Doppler
Hinter diversen Äußerungen zur Klimakrise scheinen geschichtsphilosophische Grundannahmen auf: Rechte Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels bringen gerne das Bild eines natürlichen Kreislaufs ins Spiel, in dem sich planetare Heiß- und Kaltzeiten abwechseln würden. Öko-Liberale stellen sich die Klimaerhitzung als kontinuierliche Entwicklung vor, die durch technischen Fortschritt beherrschbar werden würde. Dagegen ist die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins zu erinnern:“Vielleicht sind Revolutionen der Griff […] nach der Notbremse“.
Kann die Klimabewegung in der objektiven Krise das kritische Potential aufbauen, um das verbleibende Zeitfenster als Kairós zur Veränderung zu nutzen? Notwendig dafür wäre, so die zu entfaltende These, eine kairologische Auffassung von Geschichte, wie sie Benjamin definiert: „Die Katastrophe = die Gelegenheit verpasst haben“.
Lokomotive der Geschichte oder Notbremse? Zum Zeitbewusstsein politischer Bewegungen – Alexandra Schauer
»Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte«, bemerkt Karl Marx in seinen Analysen der Klassenkämpfe in Frankreich. Er verleiht damit einem neuen Zeitbewusstsein Ausdruck, das so nur ein Jahrhundert zuvor nicht denkbar gewesen wäre. Auf den Begriff gebracht wurde es durch die Idee des Fortschritts, der durch das Handeln der Menschen hervorgebracht werden soll. Fragt man nach der gesellschaftlichen Trägerschicht dieses Zeitbewusstseins, so ist diese zunächst im Bürgertum, sodann in der Arbeiterbewegung zu suchen. Beide wollen – wie bereits die Titel ihrer Zeitschriften verkünden – Vorwärts in eine Neue Zeit. Von dieser gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung ist zwei Jahrhunderte später nur wenig übriggeblieben. Was gesamtgesellschaftlich als Aufstieg eines »Emergency Imaginary« (Craig Calhoun) innerhalb der spätmodernen »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck) beschrieben worden ist, nimmt in den neuen sozialen Bewegungen die Gestalt einer spätmodernen Apokalyptik an. Mit ihrer religiösen Vorgängerin verbindet sie die Vorstellung des Weltenendes als Naherwartung. Von dieser trennt sie, dass die Erlösungshoffnung zunehmend in den Hintergrund tritt. Es handelt sich um eine Apokalyptik ohne »neue Zeit«. Dass wirkt sich auch auf die politische Situationsdeutung aus. Einerseits erscheint politisches Handeln in einer solchen Situation als ein negativer Aktivismus, dessen Ziel die Verhinderung des noch Schlimmeren ist. Anderseits wird die Möglichkeit einer ganz anderen Einrichtung der Gesellschaft immer weniger in Betracht gezogen. Wenn Revolutionen in einer solchen Konstellation überhaupt noch vorkommen sollten, wären sie mit Walter Benjamin eher als »der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse« anzusehen.
Der Vortrag nimmt diesen radikalen Wandel des Zeitbewusstseins politischer Bewegungen, die sich als progressiv und emanzipatorisch verstehen, zum Anlass, um zwei miteinander verwobenen Fragen nachzugehen: In einem ersten Schritt wird nach den sozialstrukturellen Voraussetzungen gesellschaftlicher Zeitvorstellungen gefragt, wobei insbesondere die Entstehung und Transformation kapitalistischer Vergesellschaftung in den Blick genommen wird. In einem zweiten Schritt wird die Rolle politischer Bewegungen thematisiert: Sind sie Treiber oder Getriebene gesellschaftlicher Veränderungen? Werden diese von ihnen kritisch reflektiert oder bewusstlos perpetuiert? Oder gilt beides zugleich? Im Fokus steht folglich das für den historischen Materialismus zentrale Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik.
Psychologische Handlungshemmnisse in der Klimakrise und wie wir sie überwinden – Lea Dohm
Den meisten Menschen ist es heute sehr bewusst, vor was für einem großen, gemeinsamen Problem wir mit der Klimakrise stehen. Dennoch fällt es uns schwer, ins dringend erforderliche Handeln zu kommen. Wie können wir die psychologischen Hürden überwinden, und welche Handlungsmöglichkeiten sind machbar und erfolgversprechend? In diesem Vortrag gibt es einen einführenden Überblick über wesentliche Aspekte der Klimapsychologie sowie im Anschluss eine Möglichkeit zur Diskussion.
Subjektivierung von Nachhaltigkeit aus dem Blickwinkel neoliberaler Gouvernementalität – Mareike Willems
„RETTE MIT DEO DEN REGENWALD!“ lautet die Werbeschrift eines Bio-Supermarktes (Biomarkt n.d.). Was hier explizit ausgedrückt wird, taucht in weniger direkter Form an vielen Stellen im heutigen Nachhaltigkeitsdiskurs auf: Das Individuum als Subjekt der Weltrettung. Häufig, aber nicht ausschließlich, in seiner Funktion als Konsument. Beispiele sind Nachhaltiger Konsum, CO2-Preise zur Steuerung des individuellen Kaufverhaltens und Ratschläge zur Integration nachhaltiger Ideale in den Lebensalltag wie Resilienz, Achtsamkeit oder das Zero-Waste Prinzip (vgl. Pritz 2018; Moisi 2020). Nachhaltigkeit wird also insofern subjektiviert, als dass es zur Aufgabe und Verantwortung eines Einzelnen wird, als auch „zum Handlungsproblem für das Subjekt im Umgang mit seinen subjektiven Ressourcen“ (Pritz 2018: 80).
Die zeitgenössischen Ideale und Praxis der Nachhaltigkeit könnten aus diesem Blickwinkel als eine weitere Facette der Selbstoptimierung und Regulierung verstanden werden. Doch inwiefern bilden Subjektivierungspraktiken der Nachhaltigkeit, Repliken solcher neoliberalen Subjektivierung? Kommt es zu Synergieeffekten oder kann Subjektivierung von Nachhaltigkeit auch zu einer Aufhebung neoliberaler Subjektivierung, wie zum Beispiel durch Achtsamkeit oder Selbstverpflegung, führen?
Zur Beantwortung dieser Fragen soll der Nachhaltigkeitsdiskurs hier aus dem Blickwinkel neoliberaler Gouvernementalität untersucht werden. Den theoretischen Rahmen bildet dabei Foucaults Konzept der Gouvernementalität und seine Skizze des „unternehmerisches Selbst“ als Referenzpunkt (Reckwitz 2020: 163). Den Gegenstand bilden dabei im Nachhaltigkeit assoziierte Instagram Beiträge, die mittels einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse nach Keller (2011) interpretiert werden sollen.
Wissen und Handeln sind - immer noch - zweierlei. Das Unbehagen in der Umweltkrise und Wege aus der Destruktivität des spätmodernen Subjekts – Hans-Joachim Busch
Allzu oft stoßen Warnungen vor und wissenschaftliche Einsichten zu ökologischen Schäden und deren weitreichenden Folgen immer noch auf taube Ohren. Wissen und Handeln angesichts der riesigen Umweltbedrohung klaffen auseinander. Das prometheische Prinzip rastlosen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ohne Rücksicht auf die Umwelt lässt sich nur sehr schwer aus den Köpfen der Menschen vertreiben. Um dies zu ändern, bedarf es eines grundlegend veränderten sozialpsychologischen Entwurfs unserer inneren Ausrichtung. Gegenstand dieses Beitrags ist folglich das Bewusstsein des Subjekts der spätmodernen Gesellschaft. Er steht in der Tradition der Sozialpsychologie der Kritischen Theorie und insbesondere deren zweiter Generation (Lorenzer, Horn). Ferner rekurriert er auf Freuds „Unbehagen in der Kultur“ und bezieht auch ethische Fragen ein (H. Jonas, H. Marcuse). Zum einen werden die für die fehlenden Konsequenzen aus den unleugbaren Umweltrisiken verantwortlichen psychischen Blockaden untersucht; zum anderen geht es um die Möglichkeiten ihrer Aufhebung, um eine innerlich stabile Motivation zu umweltbewusstem Handeln zu bewirken. Denn diese ist unerlässlich, soll es zu einer wirklichen Umkehr von uns einzelnen und der spätmodernen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit kommen. Die psychischen Bedürfnisse dafür, das wird gezeigt, sind vorhanden. Sie können geweckt werden und vermögen, eine höhere psychische Gesundheit herbeizuführen. Es geht dabei auch um ein Beziehungsproblem: Eine neue Qualität der menschlichen Beziehung zur Umwelt ist der Schlüssel, um uns und kommenden Generationen eine gut verträgliche Welt zu bewahren.
Notwendig dialektisch: Zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft – Eric Grabow und Dr. des. Haziran Zeller
Die ökologische Krise überführt nachdrücklich die Gesamtheit unserer gesellschaftlich unterhaltenen Beziehungen zur Natur ins öffentliche /wissenschaftliche Bewusstsein. Das seit den 80er-Jahren vermehrt anzutreffende Schlagwort der gesellschaftlichen Naturverhältnisse setzt eine Unterscheidung voraus, die ebenso evident wie ‚unverfügbar‘ zu sein scheint: die Grenze zwischen Gesellschaft und Natur. Ihrer begrifflich habhaft zu werden, kündigt sich als eine der Philosophie ureigene Aufgabe an – und lässt erahnen, dass ein solches Verhältnis ‚von beiden Seiten‘ eruiert werden muss . Ob „gesellschaftliche Naturverhältnisse“ den epistemologischen Primat gegenüber „natürlichen Gesellschaftsverhältnissen“ besitzen – oder dies umgekehrt der Fall ist – kann sich nur durch den Versuch ergeben, beide Verhältnisformen zu reflektieren. Daher sollen die zwei hier avisierten Vorträge beide Perspektiven exemplarisch ausbuchstabieren:
Eric Grabow
Es darf postuliert werden: der Unterschied von Gesellschaft und Natur wird je schon innerhalb von Gesellschaft produziert. Ausgehend von dieser Prämisse können anspruchsvolle Differenziationsangebote gemacht werden, welche die vermeintliche Natürlichkeit der Gesellschaft ebenso erhellen wie die gesellschaftlich etablierte Distanz zur Natur. Im ersten Vortrag möchten wir eine solche Verhältnisbestimmung anhand von Hegels Rechts- und Staatsphilosophie vornehmen. Dabei gilt es, Wechselwirkungen und/oder Verschränkungen von unbearbeiteter und bearbeitete r Natur, Individuum und Leib, von Bürger*innen als denkenden Subjekten und Gesellschaft/Staat nachzuzeichnen, sodass sich ein Hegelsches Panorama ergibt, welches zugleich die These st ützt, dass eine ‚reine Natur‘ ein Scheinbegriff oder Pseudogegenstand ist, der nur einer unterkomplexen Epistemologie/Ontologie entspringen kann.
Haziran Zeller
Wir gehen im ersten Teil unseres Vortrags mit Hegel davon aus, dass es keine Natur an sich gibt. Darunter verstehen wir, dass jede angebliche Unmittelbarkeit der uns umgebenden Welt durch ihr Bezogensein auf den Menschen bereits relativiert wird: Praktisch vermittelt etwa Arbeit die irdischen Gegebenheiten, welchem Vorgang in der Theorie die Reflexion analog ist. Diesem naturphilosophischen Gedanken entspricht in der Sozialphilosophie die Infragestellung von Herrschaftsverhältnissen, die sich stets als naturgegeben ausgewiesen haben. Dies wollen wir im zweiten Teil unseres Vortrags auf Grundlage der kritischen Theorie entwickeln. Ihr Streben geht dahin, kein soziales Ansichsein zu dulden, also alle gesellschaftlichen Vorgaben in Theorie und Praxis zu einem Fürsichsein zu verflüssigen. Das erste Motto der kritischen Theorie lautet folglich: „Die Verhältnisse sind menschengemacht, also können sie auch vom Menschen verändert werden.“ Aber diese negative Bewegung findet eine Grenze, denn die Wirklichkeit widersteht als Objekt solcher Infragestellung bislang allen emanzipatorischen Bemühungen der Kritik. Ihre Persistenz wird seit Marx mit dem Ausdruck der „Naturwüchsigkeit“ bezeichnet. Der Terminus markiert, da Natur hier logisch als Widerpart des Geistigen zu verstehen ist, kritisch die bisherige Bewusstlosigkeit des Sozialen, welchem letzteren unter bürgerlichen Bedingungen der Konkurrenz stets auch etwas Rohes und Unzivilisiertes eignet. Handeln wir im ersten Teil und mit Hegel von gesellschaftlichen Naturverhältnissen, geht es im zweiten Teil um die dialektische Gegenbewegung, die versuchsweise mit dem Titel natürlicher Gesellschaftsverhältnisse belegt werden könnte. Je mehr die Natur von Gesellschaft verinnerlicht wird, desto mehr veräußert sie sich selbst, verstockt sozusagen oder verhärtet zu einem bloßen Objekt, dem trotz und wegen seiner geistigen Vermittlung das entscheidende Bewusstsein fehlt. Gesellschaft selbst ist ihr eigener blinder Fleck.
Die Schönheit der Natur - Naturästhetik als Gesellschaftskritik – Martin Dornis
Der Klimawandel ist unstrittig menschengemacht. Aber was heißt genau heißt das? Mit Sicherheit sind es durch den Menschen verursachte Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen wie Methan, die dazu führen, dass die Temperaturen weltweit steigen, die Polkappen schmelzen und die Wälder abbrennen. So klar das alles scheint, so strittig ist es zugleich. Denn unklar bleibt, was menschen- im Unterschied zu naturgemacht überhaupt bedeuten soll. Wenn die Menschen auch Natur und zur Natur der Mensch gehört, dann ist ein menschlich verursachter Klimawandel sowohl natürlich als auch ein natürlicher menschengemacht. Andererseits ist klar: nötig ist eine Gesellschaft, die nicht aufgrund des Profitzwangs unentwegt wächst, denn dafür ist auf einer endlichen Erde mit begrenzten Ressourcen schlichtweg kein Platz.
Die Natur ist gesellschaftlich und historisch während Geschichte und Gesellschaft naturhaft verläuft. Gesellschaft existiert nicht jenseits der Natur und letztere ist nicht statisch gegeben, sondern durch und durch mit Geschichte vollgesogen und historisch veränderlich. Und doch ist sie auch unabhängig vom Menschen. Sie ist für sich selbst und für uns vorhanden. Der Mensch ist als Teil von der Natur getrennt von ihr, sie begegnet sich in ihm selbst. Das aber ist verstellt, weil uns die Natur entweder als Verfügungsmasse instrumenteller Ausbeutung oder als das große Ganze erscheint, dem wir uns bedingungslos unterzuordnen oder in das wir uns aufzulösen hätten. Es gibt jedoch durchaus Hinweise, in denen das aufscheint: Das Naturschöne, der kurze Augenblick, in dem dem Betrachter etwas an Natur als schön anmutet. Stellt die Klimabewegung sich nicht dieser Reflexion, so bleibt sie in Aktionismus und Politizismus befangen. Klimadiagramme bleiben dem instrumentellen Blick auf die Natur verhaftet.
Das Naturschöne ist das tertium datur zwischen instrumenteller Naturbeherrschung und romantizistischer Auflösung des Menschen in Natur. Namentlich die Kulturlandschaft offenbart den historischen Charakter des scheinbar geschichtslosen Naturschönen. Menschlich geschaffene Landschaft zeigt, dass die Technik keineswegs per se der Natur feindlich gesonnen ist, sondern ihr auch freundlich beistehen könnte.
Im Naturschönen zeigt sich, wie die Dinge jenseits des in der kapitalistischen Gesellschaft über sie verhängten Bannes des verselbständigten Tauschwerts (= das Kapital) zu sein vermöchten. Befreit vom Zwange der Identität wären sie keineswegs formlos. So wie Natur ist, wenn sie als schön erscheint, müsste die Menschheit organisiert sein. Der naturschöne Moment zeigt die Welt, wie sie sein könnte, wäre sie nicht durch Kapital und Profit verunstaltet, die Einheit der Naturalisierung des Menschen und der Humanisierung der Natur.
Ein Rekurs auf das naturschöne ist unabdingbar für eine kritische Theorie der Gesellschaft. Wer die Welt verändern will, muss sie als schön erkennen und dieses Moment in die Reflexion aufnehmen.
Kritische Naturphilosophie nach Adorno/Horkheimer und Roger Caillois – Mirko Stieber
Ist der Naturbegriff in den letzten Jahrzehnten zunehmend aus den geistes- und sozialwissenschaftlichen Debatten verschwunden, scheint seine Relevanz angesichts der ökologischen Zerstörungen wieder dringlich. Konstatierte Heisenberg noch 1955, dass „zum erstenmal im Laufe der Geschichte der Mensch auf dieser Erde nur noch sich selbst gegenübersteht, daß er keine anderen Partner oder Gegner mehr findet“, so kehrt die äußere Natur in vielen aktuellen Zeitdiagnosen als eigenständiger Akteur zurück. Diese taufen das gegenwärtige Zeitalter auf den Namen des Anthropozäns und zielen auf eine Problematisierung des beschädigten Resonanzverhältnisses zwischen Menschen, anderen Lebewesen und Dingen. Die Natur wird in ihnen nicht mehr ausschließlich als eine passive
Stofflichkeit beschrieben, über die der Mensch beliebig verfügen könne, sondern als eine Handlungsmacht, die agiert und reagiert.
Ob jedoch der Natur selbst Eigenschaften von Subjektivität zukommen – etwa Intentionen, Produktivität oder Imagination – also die Frage ob sinnvollerweise von einem Natursubjekt gesprochen werden kann, ist innerhalb der philosophischen Tradition wiederkehrend aufgegriffen worden: Sie reicht zurück bis zu den Naturphilosophien der Vorsokratiker und findet ihre neuzeitliche Formulierung in den philosophischen Systemen von Bruno, Spinoza, Schelling, Goethe und mit größerer kritischer Distanz auch noch im Denken von Marx. Ihre Naturphilosophien stellten vielfach den Versuch dar, nach dem Wegfall der sakralen Tradition bzw. ihrer Reduktion aufs Private weiterhin metaphysische Impulse zu bewahren. So trat zunehmend der Natur- und Lebensbegriff an die vakante Stelle Gottes und wurde zur Chiffre einer Materialität, die nicht ausschließlich auf den Menschen und seine Selbsterhaltungsinteressen reduzierbar ist.
In den Nachkriegsjahrzehnten war es vorrangig die Kritische Theorie in Anschluss an Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung, die eine Gesellschaftskritik mit einer grundsätzlichen Kritik der Naturbeherrschung verband. Ihre Analysen erblicken in der Entzauberung der Natur zu einer bloß passiven Materie zugleich eine Selbstverdinglichung des Menschen – bleibt er doch als Naturwesen weiterhin ein Teil von ihr. Und es ist diese Verschränkung von Naturbeherrschung und sozialer Herrschaft, die in der zweiten und dritten Generation der Kritischen Theorie eine Dethematisierung erfährt und zugunsten einer ausschließlich intersubjektiven Konzeption aufgelöst wird. Verdinglichung wird nun auf soziale Verhältnisse beschränkt, die zudem lediglich als Kommunikations- oder Anerkennungsprozesse beschrieben werden. Ein instrumentelles Verhältnis zur äußeren Natur setzen sie dagegen als notwendig voraus.
Trotz dieser offensichtlichen Vereinseitigungen der Kritischen Theorie ist das Verhältnis zum Naturbegriff aber bereits innerhalb der älteren Kritischen Theorie alles andere als eindeutig. Deshalb soll der Vortrag einer in Adornos und Horkheimers Denken schon angelegten Ambivalenz zwischen Affirmation und Kritik von Naturbeherrschung nachspüren. In einem zweiten Schritt werden ihre Überlegungen mit Roger Caillois’ Naturphilosophie verglichen, der sie unter anderem wesentliche Impulse ihres Lebens- und Mimesis-Begriffes verdanken. Stärker noch als der Ansatz der Kritischen Theoretiker fasst Caillois Natur weniger in Kategorien von Selbsterhaltung oder Mangel auf, sondern vielmehr als ein Ausdruck des Überschusses der Materie. Abschließend sollen mögliche Anschlüsse an gegenwärtige Debatten zur Ökologie und Umweltethik skizziert werden, etwa zur Frage der Begründung einer Umweltethik (physiozentrische vs. anthropozentrische Ansätze).
Wahre Befreiung in der Natur statt gegen sie – Arne Kellermann
Gerade aufgrund der Dringlichkeit der gegenwärtigen Situation der Klimaerwärmung lohnt es sich auf Hegels Philosophie (der Natur) zurückzuschauen. Dies aber gar nicht nur/primär wegen (s)eines richtigen Begriffs von Natur und dem menschlichen Naturverhältnis, sondern auch um davon ausgehend Besseres und Richtiges anzugehen. Denn von Hegels Naturphilosophie her lässt sich nicht nur das Problem des Klimawandels treffend vor Augen führen, sondern es lassen sich noch dessen (politische) Implikationen für die Gegenwart darstellen.
Hegels Philosophie der Natur und deren systematische Stellung in seiner Philosophie der Befreiung ist aus historischen Gründen – insbesondere die damalige Dominanz Schellings sowie die Fokussierung auf gesellschafts-politische Fragestellungen im Anschluss an Hegel – kaum so ernst genommen worden, wie es ihr objektiv angemessen wäre. Zudem hat sich die theoretisch zu reflektierende und gelingend zu verändernde Objektivität seit Hegels Tod verändert. So muss in der Ausführung des Wahrheitsgehalts von Hegels Naturphilosophie zwecks Freisetzung ihres emanzipatorischen Gehalts für den gegenwärtigen Handgebrauch auf gesellschaftskritische Motive über das menschliche Naturverhältnis von Marx und Adorno zurückgegriffen, sowie auf die neoliberale Realität kritisch reflektiert werden. Es geht also nicht um philosophiehistorische Reflexionen oder systematische Darstellungen, sondern es sollen die inhaltlichen Einsichten Hegels an der Problematik der Klimaerwärmung verdeutlicht und deren Wahrheitsgehalt aktualisiert werden.
Die neoliberale Universalisierung von (auch: geistiger) Armut entpuppt sich dabei als wesentlich gesellschaftspolitisch angetriebener Motor der Regression vor den wahren Ansprüchen moderner, menschheitlicher Vergesellschaftung, die noch ein gelingendes Naturverhältnis involvierten. – und das zu einer Zeit, die sich wohl nicht mehr substantiell als Teil „nur“ neoliberaler Regression vernünftig begreifen ließe.
Einführung in die Klimamodellierung – Kasten Lettmann
Auf dem Einstiegslehrbuch zur theoretischen Physik von Rainer J. Jelitto steht der Zusatz: “Eine Einführung in die mathematische Naturbeschreibung”. Wenn mir auch sehr viele Aspekte der theoretischen Physik damals wie heute unzugänglich sind, so motivierte mich dieser Zusatz als Student sehr, mich mit dieser Thematik zu beschäftigen.
Klimamodelle, wie sie von Vertretern verschiedener Fachdisziplinen konstruiert wurden und werden, sind genau dieser Versuch, das Klimasystem und seine Prozesse zu verstehen und vielleicht sogar sinnvolle Vorhersagen zu machen, um menschliche Fehler im Umgang mit dem Klima zu vermeiden. Ihre Vorhersagen sind mittlerweile zu einem wichtigen Bestandteil politischer Entscheidungen vor dem Hintergrund des „vom Menschen gemachten Klimawandels“ geworden.
Dieser Vortrag soll, basierend auf einer Vorlesungsreihe an der Universität Oldenburg über Klimamodelle, eine kurze Einführung in die vielfältigen Funktionsweisen und Prozesse aktueller Klimamodelle geben. Er soll weiterhin den Sinn und Hintergrund von Ensemblerechnungen erläutern, sowie – um mögliche „Schwächen der Modelle“ zu verstehen – an einzelnen Beispielen aufzeigen, mit welchen mathematischen Ansätzen die Prozesse und Kompartimente des Klimasystems beschrieben werden.
Kipppunkte in Ökosystemen und Klima – Ulrike Feudel
Unser gesamtes Klimasystem verändert sich ständig, die Auswirkungen wie z. B. zunehmende Starkniederschläge, Hitzewellen und der Verlust von Arten in ökologischen Systemen werden in vielen Teilen der Welt immer spürbarer. Um die Klimakrise besser zu verstehen und deren Auswirkungen vorherzusagen, braucht man ein tiefgreifendes Verständnis des Erdsystems und entsprechende Vorhersagemodelle. Von besonderem Interesse sind dabei relativ plötzliche Änderungen der Dynamik in Teilen des Klimasystems oder in Ökosystemen, wenn entweder einer der intrinsischen Parameter des Systems z.B. die Wachstumsraten von Arten oder der äußere Antrieb selbst so verändert werden, dass kritische Schwellwerte überschritten werden. Solche Änderungen werden in der Klimadynamik als Kippunkte, in der Ökologie als Regimeshifts und in der Mathematik als Instabilitäten bezeichnet. Betrachtet man als Beispiel aus der Umweltphysik den atlantischen Teil der thermohalinen Ozeanzirkulation – einer großräumigen, durch Dichteunterschiede angetriebenen Zirkulation – dann kann diese z.B. im heutigen Zustand sein, in dem permanent Wärme aus dem Süden in die nördliche Hemisphäre transportiert wird und dort an die Atmosphäre abgegeben wird oder aber in einem Zustand, wo diese Zirkulation stark geschwächt ist oder gar ganz zum Erliegen kommt, wie es aus paläoklimatischen Untersuchungen bekannt ist. Ein solcher Kipp-Übergang vom jetzigen in den Zustand ohne Zirkulation, der langfristig mit einer Abkühlung des Klimas in West- und Nordeuropa verbunden wäre, könnte auftreten, wenn der Antrieb durch den globalen Klimawandel z.B. die Atmosphärentemperatur oder die Niederschlagsmuster verändert würden. Ähnlich drastische Kippphänomene beobachtet man in Ökosystemen, wo Klima- oder Landnutzungsänderungen zu einem Verlust von Arten oder gar zum Zusammenbruch ganzer Ökosysteme führen können. Gegenstand dieses Vortrages ist die Untersuchung solcher Kippvorgänge. Dabei geht es darum herauszufinden, unter welchen Bedingungen ein solcher Übergang stattfinden würde, und welche Mechanismen für diese Kippphänomene verantwortlich sind. Diese Mechanismen werden anhand von Beispielen aus der Klimadynamik und aus der Ökosystemdynamik demonstriert.
Das gesellschaftskritische Potenzial der Bildung für nachhaltige Entwicklung, oder: eine negative Dialektik der Zukünftigkeit – Thilo J. Ketschau und Christian Steib
Die Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung, welche vorherrschend als Trias aus den Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie verstanden wird (s. dazu UN 1992; SRU 1994), stellt eine, wenn nicht gar die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhundert dar (vgl. UN 2012, S. 1 ff.). Dennoch ist gegenwärtig ungeklärt, ob und wie diese erreicht werden kann. Bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Gesellschaft kommt der Pädagogik und der notwendigen Vermittlung der beiden Gegenstandbereiche Bildung und Nachhaltigkeit eine große Verantwortung zu. Der Pädagogik stehen hierbei zwei Möglichkeiten zur Verfügung, sich mit der erforderlichen Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft auseinanderzusetzen: Sie kann einerseits auf einer funktionalen Ebene unter der Leitfrage agieren, wie Bildung Inhalte von Nachhaltigkeit transportieren kann. Andererseits kann auf einer normativen Ebene die Leitfrage thematisiert werden, unter welchen Bedingungen Bildung und ihre Wissenschaften Teil einer nachhaltigen Gesellschaft sein sollen. In der Literatur zeichnen sich für die Verbindung von Bildungsprinzip und Nachhaltigkeitsidee gegenwärtig zwei Tendenzen ab: Erstens besteht ein Verzicht einer Integration wesentlicher normativer und/oder funktionaler Aspekte. Zweitens liegt ein deutlicher Schwerpunkt erziehungswissenschaftlicher Arbeit und bildungspolitischer Bestrebungen auf der funktionalen Beziehungsebene (vgl. Gräsel et al. 2012, S. 8). Hingegen ist eine bildungstheoretische, normative Ebene der Verbindung dieser beiden Konzepte bislang nur fragmentarisch erschlossen (vgl. Gräsel et al. 2012, S. 17). Im geplanten Vortrag wird daher das Verhältnis von Bildung und Nachhaltigkeit als Dialektik von Funktionalem und Normativem aufgespannt, um die Folgen der gegenwärtigen Konzentration auf Sachinhalte nachhaltigen Handelns zu skizzieren und, in positiver Auflösung dessen, wie Prinzipien wie Mündigkeit, Emanzipation oder soziale Gerechtigkeit als bildungsphilosophische Grundlage einer an Nachhaltigkeit normierten Bildung dienen können.
Kritische Zuständigkeiten im Anthropozän: Suchbewegungen nach den Möglichkeiten kritischer Bildung in gesellschaftlichen Naturverhältnissen – Steffen Pelzel
Der Anbruch des 3. Jahrtausends offenbart kritische Zustände: zum einen hat das Überschreiten ökologischer Kipppunkte die Menschheit über die geochronologische Schwelle eines neuen Erdzeitalters manövriert – vom Holozän ins Anthropozän. Zum anderen überschlagen sich sozialwissenschaftliche Krisendiagnosen: die Metakrise (Leggewie/Welzer), multiple Krise (Brand), Zangenkrise (Dörre) oder nachhaltige Nichtnachhaltigkeit (Blühdorn) liefern einen unübersichtlichen Komplex an Gründen für eine ausbleibende sozial-ökologische Transformation bei doch weitgehend verbreitetem Krisenbewusstsein. Dass in derlei krisenhaften Zeiten Bildung die Rolle der Feuerlöscherin und des Reparaturbetriebs zukommt, ist nicht neu, wird jedoch im Rahmen der global institutionalisierten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und der zentralen Stellung, die Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) als key enabler of all other SDGs einnimmt, zugespitzt. Neuerdings wird dabei ein dezidiert kritisch-reflektierendes Denken als bedingende Voraussetzung der entworfenen Strategien expliziert. Nachhaltige Entwicklung und Transformation im Modus des »jetzt aber wirklich«.
Mit der Diagnose des Anthropozän ändern sich dabei nicht nur die Vorstellungen von einer Natur als passiven Hintergrundfolie und Ressource, die nach der Logik stabiler Kreisläufe funktioniert, sondern auch die Kategorien, mit denen wir die Welt beschrieben und entlang derer wir nachhaltigkeitsbezogene Bildungsbemühungen sowie gesellschaftskritische Praktiken ausgerichtet haben. Die Situierung des Menschen im geo-klimatischen Zusammenhang macht deutlich, dass sich die ewig wiederkehrende Frage nach dem richtigen Leben oder – bildungstheoretisch gewendet – die Frage nach einem angemessenen pädagogischen Standpunkt (Normativität/Legitimität) neu stellt.
Ausgehend vom Motiv, Bildung als Entwurf und Modifikation der grundlegenden Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses aufgrund des Fraglichwerdens bisheriger Ordnungsfiguren zu fassen (Kokemohr), soll im Vortrag eine kursorische Auseinandersetzung mit Theoretisierungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse für eine Formbestimmung kritischer Bildung wirksam gemacht werden. Die mit dem jeweiligen Mensch-Natur-Verhältnis variierenden Denksysteme und Erkenntnisweisen bringen – gelesen als deren immanente politische Epistemologie – je eigene normative Rechtfertigungsordnungen und letztlich spezifische Kritik- und Bildungsweisen mit sich. So ließe sich einer Begriffsvernutzung und präfigurierten Instrumentalisierung des Kritischen vorbeugen und eine Schärfung des dann im Handgemenge gesellschaftlicher Naturverhältnisse situierten kritischen Bildungsbegriffs vornehmen. Es geht demnach um neue Annäherungen an die Frage, wie angesichts der unübersichtlichen Verhältnisse sowie einer sich verflüchtigenden Grundlage für geteilte Wahrheitsansprüche, Kritikpraktiken und (emanzipatorische) Bildung eine aussichtsreiche Bildungsarbeit gedacht, legitimiert und praktiziert werden kann.
Buchvorstellung Das Klima des Kapitals – Moritz Zeiler
Der Zwang zur Profitmaximierung untergräbt nach Marx permanent die Quellen allen gesellschaftlichen Reichtums: Natur und Arbeit. Exzessiver Raubbau durch kommerzielle Landwirtschaft, massive Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser durch die Industrie und rapide ansteigende Erderwärmung infolge enormen Energieverbrauchs haben fatale Folgen für das globale Klima. Ein Green New Deal wird bestenfalls zur Modernisierung des Kapitalismus führen, die Klimakrise aber nicht lösen können. Produktion, Verteilung und Konsum nach menschlichen Bedürfnissen wie auch ein respektvoller Umgang mit der Natur erfordern daher einen Bruch mit der kapitalistischen Logik. Marx konnte zwar die aktuelle Klimakrise nicht vorhersehen, aber sein Werk liefert wichtige Anregungen für aktuelle Diskussionen um einen wünschenswerten Stoffwechsel von Mensch und Natur.
Utopien in dystopischen Zuständen? – Annette Schlemm
Die meisten Utopien flüchten auf Inseln oder ferne Planeten, sie sind „Schönwetterutopien“. Außer ein paar Milliardären und Schauspielern sind wir jedoch auf diese ökologisch verwüsteten Erde verwiesen. Bedeutet das ein Ende utopischen Strebens? Oder welche Art Utopie muss verwirklicht werden, um die Zerstörung von Mensch und Mit-Natur zu beenden, bevor menschliches Leben endet?
Wider das Spektakel des Untergangs – Gruppe Nevermore
Die Konstruktion des Schreckens als ein kommendes Unheil verbindet die neue Klimabewegung mit früheren Umweltbewegungen. Die Szenerie, in der sich deren Untergangsangst bewegt, hat die Gruppe Nevermore in der Broschüre »Mein Freund der Untergang« zu fassen versucht. Darin wird kritisiert, wie sich die Angst der Einzelnen vor dem Untergang in einem apokalyptischen Bewusstsein niederschlägt und im Spektakel des Untergangs zum Kitt der kommenden Gesellschaft wird. Die Thesen zur Verquickung von Wahnsinn und Realität sollen nun durch einen mit der Gruppe Assozierten zur Diskussion gestellt werden.
Hurra, diese Welt geht unter - Eschatologie und Apokalyptik bei Extinction Rebellion – Maximilian Schulz
Die Prognosen über die zu erwartenden Schäden durch den Klimawandel werden von Jahr zu Jahr immer düsterer. Dass diese Zeit der immer neuen Hiobsbotschaften einen Nährboden für die Verbreitung apokalyptischer Narrative und Überzeugungen bildet, ist wenig überraschend. Extinction Rebellion macht mit ihrem namensgebenden „Aufstand gegen das Aussterben“ und ihren kontroversen Aktionen diese Endzeitstimmung zum Programm. Ist die kontroverse Umweltschutzbewegung aber dabei lediglich „[p]rovokant, auffällig, gut organisiert – und umstritten“ (Frankfurter Rundschau) oder ist sie tatsächlich eine „Weltuntergangssekte“ (Jutta Ditfurth)?
Denn einerseits bietet ihre „5 vor 12“-Rhetorik zwar ein Narrativ, welches Mobilisierungspotenzial verspricht. Andererseits geraten solche eschatologischen Argumentationsweisen schnell in ideologisch gefährliches Fahrwasser. Was sind die Auswirkungen für Theorie und Praxis – und welche Auswirkungen auf das Verständnis von Utopie und Dystopie hat es, wenn das Ende der Welt als Hauptmotiv einer Bewegung herhält?
Klimaanpassung und Klimapolitik in der Staatstätigkeitsforschung, kritisch-materialistische Staats- und Politiktheorie und die Notwendigkeit der Kapitalismusanalyse – Ricardo Kaufer
Defizite in der Umsetzung effektiver Klimapolitiken resultieren aus der Abhängigkeit des Staates von der gelingenden Kapitalakkumulation der Unternehmen und der Verweigerung diesem Zwang effektiv entgegenzutreten. In der politikwissenschaftlichen Forschung zur Klimapolitik und zur Klimaanpassung dominiert die Governance–Perspektive mit ihrer Fokussierung auf Problemlösungen (vgl. Weiland 2017). Mit dieser Perspektive können wichtige Erklärungen für die Politiken der Klimaanpassung in unterschiedlichen politischen Systemen generiert werden (Biesbroek/Lesnikowski 2018; Luterbacher/Sprinz 2018). Allerdings fehlt dieser politik-
theoretischen Perspektive trotz der fundierten Analysen der Bedeutung von Akteurinnen1 , Präferenzen und Institutionen im Rahmen der Formulierung und Implementation von Klimaanpassungspolitiken eine Auseinandersetzung mit der politökonomischen Abhängigkeit moderner Fiskalstaatlichkeit von den Akkumulationsmodellen des nationalen Kapitalismustypus. An dieser Stelle setzt der angestrebte Beitrag an. Zunächst werden deshalb die Ergebnisse zur Klimaanpassung vom Standpunkt der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung sowie der Governance–Forschung und der Politikfeldanalyse vorgestellt und diskutiert (vgl. u.a. Biesbroek/Lesnikowski 2018; Jahn 2016). Anschließend wird die Perspektive der kritisch–materialistischen Staats– und Politiktheorie auf nationale Klimaanpassungspolitiken skizziert (vgl. Angus 2016; Kannankulam/Georgi 2014; Moore 2016; Wissel/Kannankulam/Georgi/Buckel 2014) und mit den Ergebnissen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung und der Politikfeldanalyse verglichen. Im Vergleich der theoretischen Perspektiven zeigt sich, dass die besondere Fokussierung auf den dominanten Einfluss des nationalen Akkumulationsmodells in der kritisch–materialistischen Staats– und Politiktheorie in besonderem Ausmaß erklären kann, wie es zu den Unterschieden in den nationalen Ansätzen der Klimaanpassung und zu den Defiziten der Klimapolitik kommt. Mit dieser theoretischen Perspektive soll einerseits die Notwendigkeit der Zusammenführung der Kapitalismusanalyse mit der Politikfeldanalyse zur Klimaanpassung und Klimapolitik betont und andererseits für eine Reinterpretation der Ergebnisse zur Klimaanpassungsforschung geworben werden, da Klimaanpassung trotz der Bedeutung der Präferenzen politischer Akteurinnen und der Institutionen des politischen Systems insbesondere vom Entwicklungsstand nationaler Kapitalismen abhängt. Damit können politiktheoretische Verkürzungen vermieden und realistische Einschätzungen zu den Erfolgsaussichten der Klimaanpassung und Klimapolitik gewonnen werden.
Warum eine Verkehrswende bislang nicht gelang? Konsequenzen aus der Verkehrspolitik von 30 Jahren Geisterfahrt – Uwe Kröcher
Die Durchsetzung einer sozial-ökologischen Transformation, die einerseits dem Klimawandel Einhalt gebieten kann, andererseits die sozialen Entfaltungsmöglichkeiten auch für untere soziale Klassen ermöglicht, ist keineswegs selbstverständlich. Besonders augenscheinlich wird dies an der Verkehrswende deutlich. In dem Beitrag, der die verkehrswissenschaftlichen und -politischen Diskurse seit der deutschen Widervereinigung analysiert, wird ausgeführt, dass die Verkehrspolitik der letzten 30 Jahre wider besseren Wissens um die gesellschaftlichen und ökologischen Kosten des motorisierten Individualverkehrs als eine Art Geisterfahrt betrieben wurde. Statt eine Politik einer notwendigen Verkehrsreduktion und eines Umstiegs auf den Umweltverbund wurde genau die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, die auf ein Verkehrswachstum setzte mit dem Ausbau vom motorisierten Individualverkehr. Es wird begründet, dass eine Verkehrswende bislang an einer „Komplizenschaft aus Staat, Bürgern und Industrie“ (Canzler/Knie) gescheitert ist, die neben ökonomischen Interessen in der gesellschaftlichen Produktionsweise auch aus tief kulturell eingeschriebenen Verhaltensweisen resultiert. Daher sieht sich eine Verkehrswende nicht nur gegen Widerstände machtvoller Industriekonzerne ausgesetzt, sondern wird von allen sozialen Milieus und Schichten – selbst von den ökologisch aufgeklärten Milieus – wenn nicht abgelehnt dann zumindest kaum praktiziert. Die verschiedenen Dimensionen der Widerständigkeit einer Verkehrswende soll betrachtet werden, um daraus ableiten zu können, welche politischen Allianzen zur Durchsetzung einer Verkehrswende geschlossen werden müssen.
Die ökologischen Kosten der kapitalistischen Reichtumsform – Norbert Trenkle
Die angebliche Effizienz der kapitalistischen Produktionsweise beruht ganz wesentlich darauf, alle negativen Effekte auf verschiedene Weise zu externalisieren und damit die wirklichen Kosten für Natur und Gesellschaft auszublenden. Diese systematische Externalisierung resultiert aus der Verselbstständigung der Reichtumsproduktion gegenüber den Menschen und gegenüber dem gesellschaftlichen Zusammenhang, den sie zu ihrem „Außen“ mache. Als gesellschaftlicher Reichtum wird in der kapitalistischen Gesellschaft nur der abstrakte Reichtum anerkannt, also das, was sich als „Wert‟ in den Waren darstelle. Hierin liegt der tiefere Grund für die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Geringschätzung aller nicht-warenproduzierenden Tätigkeiten und die rücksichtslose Ausplünderung des Globalen Südens. Die Vorstellung, es könne einen „nachhaltigen Kapitalismus‟ geben, ist daher haltlos.
Leben in einer unbrauchbar gewordenen Welt – Jan Rickermann
Aufgrund der extremen Ungleichheit bei der Teilhabe an der gegenwärtigen Zerstörung der Erde sowie dem damit verbundenen Leid wurde vorgeschlagen, das Erdzeitalter nicht als Anthropozän, sondern als Kapitalozän zu begreifen. Unberücksichtigt bleibt hierbei ein zentraler Einwand, den Marx gegen das Kapital vorbrachte: Der Mensch herrscht nicht über die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern wird von diesen beherrscht. So finden wir zwar eine Produktion vor, die „nicht bloß an der Erde kratz, scharrt und pflückt, sondern sie wirklich verändert“ (Pohrt), dennoch ist nicht der Mensch Subjekt dieses Prozesses, sondern muss es erst werden. Der Begriff Anthropozän wäre so verstanden gar ein anzustrebender Zustand, in dem die Menschen zum ersten Mal in der Lage sind, autonom über den Reichtum zu verfügen, und die Natur unter rationale Herrschaft stellen.
Pohrts Überlegungen in seinem Werk Theorie des Gebrauchswerts kreisen um die Überlegung, dass das Kapital einen emanzipatorischen Gebrauchswert hat, hierbei geht er auch auf das derzeit diskutierte Verhältnis von Mensch und Natur bei Marx ein. Die Trennung zwischen diesen stellt jedoch keineswegs einen Verfall einer zuvor heilen Ordnung dar, sondern schafft im Gegenteil erstmals die Bedingung, eine universelle Befreiung denken zu können. Denn nach Pohrt – dies drückte seine Beschäftigung mit dem (emanzipatorischen) Gehalt des Begriffs Gebrauchswert aus – bot das Kapital die Möglichkeit der „Antizipation richtiger gesellschaftlicher Verhältnisse der Menschen untereinander und zur Natur“. Eben dies wäre die Bedingung für die Versöhnung von Mensch und Natur, dafür, die Erde „den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ (Marx). Pohrts im Nachhall der Protestbewegung formulierte Schrift gibt aber gleichzeitig Auskunft über den möglichen Zerfall dieses Gebrauchswerts. Die Welt des endlosen Endes vom Kapitalverhältnis ist den Menschen kaum noch als „Domäne ihres Willens“ (Marx) erkennbar, sie nimmt „allmählich die Gestalt völliger Unbrauchbarkeit für die Menschen“ (Pohrt) an. Nach Pohrt entwickle sich das Kapital in eine Richtung, die seine Potentiale, seinen historischen Gebrauchswert, kassiert. Eben dies ist ein Problem für Protest. Dieser kann sich so kaum noch auf eine noch zu verwirklichende, aber bereits in den Verhältnissen angelegte Vernunft berufen.
Die gegenwärtige Klimakrise scheint sogar nahezulegen, dass eher das Ende der Welt als die Befreiung auf der Tagesordnung steht und damit die mit dem Kapital erzeugten Möglichkeiten als Irrtum erscheinen müssen. Das Kapital wäre dann als bloßes Destruktionsmittel auf den Begriff gebracht. Blickt man in die Schriften gegenwärtiger „radikaler“ Kritik, so scheinen sie Pohrts Diagnose vom Zerfall des Gebrauchswerts und vom Unbrauchbarwerden der Welt recht zu geben. Protest in einer „Welt in Flammen“ (Malm) droht, einzig polit-existentialistisch gedacht werden zu können.
Der doppelte Naturbegriff und das Naturmoment im Kapital – Enrico Pfau
Warum Naturalisierung von Gesellschaft und Spiegelung von Gesellschaft in der Natur Hand in Hand gehen, muss mit dem doppelten Naturbegriff reflektiert werden, in dem einerseits der Mensch in Gegensatz zur Natur und andererseits die menschliche Natur gedacht wird. Die Natur als Gegensatz zum Menschen gedacht, ist dann all das, was der Mensch nicht gemacht hat und was sich ohne sein zutun von selbst vollzieht. Schon in der Antike wurden durch Abstraktion Begriffe wie Hyle und Autopoiesis gebildet, die diese besondere, vom Menschen unabhängige Stofflichkeit und Selbstbewegung sowie Selbstherstellung der Natur ausdrücken. Darin ist auch der der Begriff der Natur als Wesen einer Sache angelegt. Diese Begriffe sind nicht an konkrete Gegenstände gebunden und vermeiden die oft gemachte Verwechslung der Natur mit Wildnis.
Doch was der Mensch nicht gemacht hat und sich ohne sein zutun vollzieht, muss durch die Menschen erst erkannt werden. Zudem ist zu unterscheiden, was dem einzelnen Menschen und dem Maßstab der Gattung nach als Natur erscheint. Auch die durch die Menschen hervorgebrachten Verhältnisse können von den Einzelnen als Natur wahrgenommen werden. Daraus erhellt, wieso wiederum die Natur des Menschen als sein Wesen zugleich als nicht gemacht und doch als noch zu verwirklichendes erscheinen muss. In einer jeweils einseitigen Fassung dieses Problems fungiert die Natur so entweder als Maßstab der Kritik der menschlichen Gesellschaft oder als ihre Rechtfertigung. Natur wird selbst naturalisiert. Im versöhnten Sinne kann dagegen die Menschheitsgeschichte als ein Herausarbeiten des Menschen aus der Natur und zugleich als Vollendung seiner eigenen Natur in der freien Vergesellschaftung der individuellen Subjekte betrachtet werden, die die Wahrheit der lebendigen Substanz sind. Insofern kann der Mensch als Reflexionsform der Natur gedacht werden, in der die Natur im Gegensatz mit sich selbst zu sich selbst kommt.
Diese Versöhnung bleibt aber idealistisch, wenn sie sich an die Stelle der wirklichen Entwicklung setzt oder die Versöhnung als bereits verwirklicht ausgibt. Die Wirklichkeit des menschlichen Wesens entwickelt und vollzieht sich unter historischen Umständen, die einerseits von den Menschen nicht immer frei gewählt und trotzdem Ausgangspunkt für die menschliche Kraftentwicklung sind. Diese Kraftentwicklung ist aber keine allgemeine, wenn sie durch Herrschaft vermittelt ist. Zwar musste und muss die Natur erst so eingerichtet und angepasst werden, damit sie menschliche Zwecke fördert, aber der bestimmte, wirkliche Umgang mit der Natur hängt von den Herrschaftsverhältnissen ab, die die Menschen untereinander bewusst oder bewusstlos reproduzieren. Der Herrschaft durch das Kapital entspricht ein Umgang mit der Natur als bloß zu beherrschendes Material, während in persönlichen, besonders familiär oder der Abstammung nach gedachten Herrschaftsverhältnissen die Naturwüchsigkeit als Autorität gilt. Aber nicht nur im letzteren auch in ersteren Fall wird Natur, der der Mensch entrinnen wollte, als gesellschaftlich produziertes Verhältnis wiederholt. So wäre alle bisherige Menschheitsgeschichte nicht einfach Geschichte gegen die Natur, sondern auch Naturgeschichte des Menschen. Im Kapital ist die Freiheit der individuellen Subjekte vorausgesetzt und zugleich negiert. Das Kapital enthält die menschliche Natur, die Freiheit, in verkehrter Gestalt. Es ist insofern die vollendete zweite Natur als entfremdete Natur des Menschen.
»Heimat«
Mit ihr wird für Zahnpasta und Banken geworben, der Trachtenhandel erzielt Umsatzrekorde und das provinzielle Kostüm enthemmt seine Träger/innen. Ein »Volks-Rock´n´Roller« füllt große Arenen mit jungem Publikum, die Bild-Zeitung ehrt sie mit einer kostenlosen Sonderausgabe, die Qualitätsmedien mit Features und Debatten-Serien. Zeitschriften, die das richtige Anlegen von Rosenbeeten lehren, sind der Renner auf dem Medienmarkt.
Grüne plakatieren ihr zur Ehre, Sozialdemokraten melden ältere Besitzansprüche an, und beneiden die Christdemokraten um die Idee mit dem Ministerium. Nazis verkünden, die Liebe zur ihr sei kein Verbrechen, und wer sie nicht liebe, sei aus ihr zu entfernen. Linke kontern knallhart: ihre Liebe zu Region und Gebietskörperschaft sei noch viel tiefer, echter und unverbrüchlicher.
Die staatlichen Programme zur Förderung solcher Gefühle sind satt budgetiert, und je trostloser das Kaff, desto hymnischer hat der Song zu sein, der seinen Liebreiz besingt. Der deutsche Pop folgt diesem Credo, unsubventioniert und in Privatinitiative. Hauptsache es wird gefühlt. Und das heißt immer: Allem zersetzenden Denken und kritischer Reflexion wird die Stirn geboten.
So fühlt man sich schonmal wie ein Baum, also tief verwurzelt und unumtopfbar, weil sonst Psyche und Identität Schaden erlitten. Manche schnuppern auch an Bratwürsten und behaupten, dann spürten sie Heimat. Vor allem rein und unbefleckt soll sie sein, von ihren Männern beschützt und verteidigt.
Im Namen von Idyll, Harmonie, Tradition, Brauchtum, Familie und weiterer Höllen wird gegen die Fremden und das Fremde zu Felde gezogen. Was man bereits ohne Meinungsforschung erkennen konnte, wurde mittlerweile auch empirisch belegt: Je mehr Heimatliebe, desto ausgeprägter die rassistische Gesinnung.
Unbeeindruckt davon, stets dem Konstruktiven verpflichtet, bastelt die Zivilgesellschaft an ,alternativen‘ Heimatbegriffen. Und wo noch ein Restwissen oder eine Ahnung vorhanden ist, über die Geschichte dieses rechten Kampfbegriffs, der oft nur ein anderes Wort für ,Blut und Boden‘ war, zitiert man das letzte Wort aus »Prinzip Hoffnung« des marxistischen Philosophen Ernst Bloch: »Heimat« – und verschafft sich so gutes Gewissen.
Das und vieles mehr – das Absurde und das Gefährliche – wird an diesem Abend auf Bühne und Leinwand besichtigt und vorgeführt, nachgespielt und kommentiert, analysiert und in die Tonne getreten. Stets parteiisch auf der Seite der historischen und zukünftigen Opfer der Heimat.
FRANK SPILKER (Die Sterne) trägt eine brauchtumsfremde Komposition bei – sein Song möge Heimatfeinde in Bewegung und Heimatfreunde zum Erstarren bringen.
Wer das für Nestbeschmutzung hält, versteht uns richtig.
Ein Anti-Heimatabend von und mit
Thomas Ebermann und Thorsten Mense
Künstlerische Mitarbeit:
Florian Thamer und Peter Bremme
Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution – Klaus Dörre
Nachhaltig kann eine Gesellschaft nur sein, wenn sie den Zwang zu immer neuen Landnahmen bricht, der im kapitalistischen Besitz als Strukturprinzip angelegt ist. Eine Gesellschaft, die dieses expansive Prinzip auf demokratische Weise überwindet, muss eine sozialistische sein, argumentiert Dörre in seinem grundlegenden Buch «Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution».
Um wieder Strahlkraft zu gewinnen, muss der Sozialismus jedoch von seinem dogmatisch erstarrten Anspruch abrücken und nochmals zu einer attraktiven Utopie werden. Inhalt dieser Utopie kann nicht mehr die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln hemmender Produktionsverhältnisse sein. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der die eigene Geschichte und sein vielfältiges Scheitern reflektiert und mitdenkt, steht für die Suche nach einer Notbremse, die den mit Hochgeschwindigkeit auf einen Abgrund zurasenden Zug zum Halten bringt.
Ökosozialismus - Reflektionen zu einem Gründungsdokument und heutigen Ausarbeitungen – Thomas Ebermann
Die Grünen gründen sich 1980 aus einem von K-Gruppen, FeministInnen und Anti-Antomkraft-Bewegten über Konservative bis zu Anthroposophen reichenden Reservoir unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Strömungen und thematisieren die destruktive Beziehung zwischen Mensch und Natur das erste Mal in der deutschen Parteipolitik. Radikal stellt sich die Partei in ihrem ersten Grundsatzprogramm 1980 mit dem Satz “Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien” auf der politischen Bühne vor und betont noch in der Präambel “daß der Ausbeutung der Natur und des Menschen durch den Menschen entgegengetreten werden muß, um der akuten und ernsten Bedrohung des Lebens zu begegnen”.
Damals heften sich breite und unterschiedliche Hoffnungen an den Werdegang der jungen Partei, den viele Seiten zu beeinflussen versuchen. Eine der dominanteren Schlagrichtungen ist die ökosozialistische, der Rainer Trampert und unser Vortragender Thomas Ebermann 1984 mit “Die Zukunft der Grünen – Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei” ihre Bibel vorlegen, wie es zeitgenössische Rezensenten schreiben.
Auf diesem Panel soll es um die kritische Reflexion der damaligen Lage und Ideen sowie einer Prüfung ihrer Aktualität gehen. Zunächst werden die damaligen Grundzüge und theoretische Fundierungen ökosozialistischer Politik rekapituliert. Darauffolgend wird die Haltbarkeit und Relevanz der damals vertretenen Thesen im Gespräch mit Josepha Zastrow und Jakob Hoffmann überprüft und thematisiert was für die heutige Situation einer Modifikation bedarf.
Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise – ein ideologietheoretischer Annäherungsversuch mit George Clooney – Johannes Greß
Die Herausforderung, vor welcher wir gegenwärtig stehen, ist, dass diese Art der gesellschaftlichen Reproduktion sozial und ökologisch in höchstem Maße destruktiv ist. Die Aufrechterhaltung bestehender Macht- und Herrschaftsstrukturen auf Basis eines ständig wachsenden Konsumniveaus beruht auf der Ausbeutung von Menschen (im Globalen Süden wie im Norden) sowie auf der Ausbeutung von Natur (Ressourcenausbeutung, Müllproduktion, chemische Vergiftungen, …). Um die ökologische Destruktivität dieser „imperialen Produktions- und Lebensweise“ (Brand/Wissen) wissen wir in Ansätzen seit über 150 Jahren. Heute zeigen uns Berichte wie jene des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erschreckend detailliert das Ausmaß der Katastrophe. Die Frage, die sich daran anschließt: Warum handeln „wir“ nicht dementsprechend? Warum beschränken sich Bearbeitungsmodi der ökologischen Krise meist auf kosmetische Eingriffe?
Die derzeitig zu beobachtenden Bearbeitungsmodi der ökologischen Krise legen eine grundlegende Überarbeitung von Marcuses Ideologiebegriff nahe, wonach es sich bei Ideologie um „falsches Bewusstsein“ handele. Ein solcher Ideologiebegriff würde mit Blick auf die derzeitige ökologische Krise implizieren: Wir zerstören die Umwelt, weil wir es nicht besser wissen.
Entgegen einem solchen Ideologieverständnis lautet die These, die ich entlang der Nachhaltigkeitskampagne von Nespresso entwickeln möchte: Wir wissen, was wir tun, und wir tun es trotzdem. Die Behauptung Nespressos, dank ihres eigens entwickelten Recycling-Konzepts könne jede Kapsel Kaffee einen „positiven Beitrag“ zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz liefern, legt eine Rekonzeptualisierung von Marcuses Ideologiebegriff entlang der heuristischen Achsen „kapitalistische Reproduktion“, „Hegemonie“ und „Unbewusstes“, nahe. So verstanden erfüllt Konsum eine ökonomische (Mehrwertproduktion), ideologische (materielle und symbolische Teilhabe der Subalternen/Hegemonie) und psychologische Funktion (Unbewusstes).
Ein so konzipierter Ideologiebegriff erlaubt es schließlich, „grünen Konsum“ als individualisierend-entpolitisierende und verleugnend-entpolitisierende ideologische Diskursformation zu fassen, welche weniger einer adäquaten Bearbeitung der ökologischen Krise als vielmehr der Aufrechterhaltung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse dient.
Der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage – Hans Reckwitz
Die Dramatik der globalen Klimakrise bestimmt zunehmend auch die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen. Die Umweltkrise hat gesellschaftliche Ursachen, wird gesellschaftlich verhandelt und birgt enormes soziales Konfliktpotential. Die globale Umweltkrise gilt vielen als Problem der Menschheit; als Konflikt zwischen reichem Globalen Norden und armen Globalen Süden oder als Widerspruch zwischen ökologisch ignoranten und bewussten Konsument:innen. Entgegen solcher Vorstellungen argumentiert der Vortrag, dass der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage verstanden werden sollte. Es wird dargelegt, inwieweit die ökologische Frage auf den Ebenen der politischen Ökonomie, der Verteilung von Lebenschancen und sozial-ökologischen Konfliktdynamiken einen Klassencharakter hat.
Postwachstumsideologie als Alltagsreligion und Distinktionsbedürfnis – Mathias Beschorner
Im Vortrag wird die Postwachstumsideologie ideologiekritisch betrachtet und verdeutlicht, warum das Diktum vom Schrumpfen der Produktion hinter kapitalistische Vergesellschaftung zurückfällt. Zugleich wird gezeigt, dass sich darin ein Distinktionsbedürfnis gegenüber den arbeitenden Klassen äußert und hohe Anschlussfähigkeit für die politische Rechte besteht. So beziehen sich zentrale Figuren der Neuen Rechten wie der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen oder auch Björn Höcke affirmativ auf Niko Paech. Postwachstumstheoretiker wie Niko Paech sind in Wissenschaft und Politik breit vernetzt und auch in linken Kreisen beliebt. Die ‚große Transformation‘ ist aber nicht bloß Expertenaufgabe, sie bedarf einer Kulturrevolution von unten und einem neuen Menschenbild. Die angesprochenen Subjekte sehen sich mit einer Melange aus Verzichtsethik und malthusianischer Übervölkerungsfantasie konfrontiert, scheinen jedoch gern bereit die abgeleiteten Forderungen individualistisch, als sinnstiftende Alltagsreligion für den Hausgebrauch praktisch werden zu lassen. So erfahren sie die vermeintliche Wirkmächtigkeit ihrer Überzeugungen gemäß einer wohlfeilen Konsumkritik beim morgendlichen Fairtrade–Kaffee – in einem Wechselspiel aus Schuldgefühl und moralischer Überlegenheit.
Eine materialistische Perspektive muss sich dem Problem der ökologischen Krise annehmen und nach Antworten suchen, wie eine postkapitalistische Vergesellschaftung sich der Produktivkräfte und Automation sowie Massenproduktion bedienen könnte, ohne den Planeten zu zerstören. Hinsichtlich der Postwachstumsideologie gilt jedoch das Diktum Theodor W. Adornos: Ist „das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, [ist es] bereits Index des Richtigen, Besseren“.
Sozial-ökologische Klassenkonflikte in Zeiten der ökologischen Krise: Kapitalismus und Protest in Chile – Jakob Graf
Chile ist eines der weltweit am stärksten von Klimawandel und Wasserknappheit betroffenen Länder. Nicht nur in den Wüsten des Nordens, in denen der Bergbau der lokalen Bevölkerung das Wasser abgräbt, sondern auch im lange Zeit so grünen Süden des Landes wird zunehmend das Wasser knapp. Während die Großunternehmen des Landes tausende Hektar Land mit Monokulturen aus Obst- und Forstplantagen für den Export bepflanzen, bleibt für die lokale Bevölkerung wenig vom wirtschaftlichen Reichtum. Seit den 2010er Jahren führt das in steigendem Maße zu Protesten und kulminierte 2019 in der großen Oktoberrebellion. Ökologische und soziale Kämpfe verbinden sich dabei und führen zu breiten Bündnissen. Der Vortrag beleuchtet die ökologische Frage als Klassenfrage und sucht nach Potentialen gesellschaftlicher Proteste, die auch für die Klimabewegung in Deutschland von Interesse sein könnten.
Climate Change Induced Migration In Ghana's Rural Communities – Jamila A. Okertchiri
Ms Okertchiri would talk about the impact of the increasing harsh weather conditions on farming activities in rural communities who depend largely on agriculture for their sustenance. She would discuss, with other panelists, the effect on migration and other factors like food production and the measures to support the people affected by the extreme change in weather conditions.
Gesellschaftlich-politische Folgen des Klimawandels im Nahen Osten – Thomas von der Osten-Sacken
In einem ihrer letzten Klimaberichte warnte die UNO nachdrücklich, dass von den globalen Veränderungen ganz besonders Ostafrika und die MENA-Region betroffen seien: Sollte nicht in Kürze der globale CO2-Ausstoß drastisch reduziert werden, hätten die beiden Regionen mit ganz besonders verheerenden Folgen zu kämpfen.
Schon jetzt sind diese Veränderungen deutlich zu sehen und zu spüren: Bereits im April wurde etwa der Irak von mehreren Staubstürmen heimgesucht. In der Hauptstadt Bagdad war die Luft so schlecht, dass unzählige Menschen wegen Atemnot hospitalisiert werden mussten und einige sogar starben. Tagelang war der Flugverkehr lahmgelegt.
Derweil herrschten im Land Temperaturen, wie sie früher zu Sommerbeginn üblich waren. Im nordirakischen Sulaymaniyah stieg Mitte April das Thermometer auf fast 35 Grad Celsius, bislang auch blieb der für diese Jahreszeit übliche Frühjahrsregen aus. Experten zufolge erwärmen sich der Irak und Iran bis zu siebenmal schneller als andere Regionen der Welt.
Im Vortrag soll es vor allem um die gesellschaftlichen und politischen Folgen des Klimawandel im Nahen und Mittleren Osten gehen.
Es gibt keine Krise der Natur. Es gibt die Klima-Krise nicht – nicht in der Form, in der die Aktivisten von Fridays-for-Future und Extinction Rebellion gegenwärtig von einer Krise sprechen. Diese Kritiker fordern die Anerkennung der klimatischen Veränderungen als Krise, um durch diesen Begriff die Radikalität ihrer Forderungen zu unterstreichen, und drücken dadurch nur ihren gesellschaftlichen Analphabetismus und Konformismus aus.
Wenn Temperaturen langfristig steigen oder fallen, befindet sich die Natur nicht in einer Krise. Wenn Wälder sterben, wenn die Pegelstände von Flüssen und Meeren steigen oder fallen, befinden sich Wälder, Flüsse und Meere nicht in einer Krise. Eine Krise besteht erst dann, wenn Menschen durch den Versuch, die Natur zu beherrschen und dadurch ihr Leben zu sichern und ihre Lebensweise zu verbessern, Veränderungen in der Natur hervorbringen, die das menschliche Leben bedrohen: durch einen langfristigen Temperaturanstieg, Verwüstung von Ackerboden, Bodenerosion, Verfall der Agrarproduktion, Verknappung von Trinkwasser, Überschwemmung von Städten und Ländereien, verheerende Stürme, Waldbrände … Was als Krise der Natur erscheint, ist eine Krise der Gesellschaft, eine Krise der Politik-Ökonomie. Deshalb ist das, was als Klima-Krise bezeichnet wird, nicht durch die Methoden und Theorien der Naturwissenschaften zu erforschen, sondern ein Forschungsgegenstand der Gesellschaftstheorie und der Kritik der politischen Ökonomie. Deshalb kann die Überwindung der Klima-Krise nicht von einer „Klimarevolution“ (Neubauer, Repenning) erhofft werden, sondern von einer „sozialen Revolution“. Es gibt keine „Versöhnung der Menschheit mit der Natur“ ohne eine „Versöhnung der Menschheit … mit sich selbst.“ (Friedrich Engels)
Auf dem Kongress wurden diverse Aspekte des Klimawandels betrachtet und in einen Zusammenhang mit Gesellschaftskritik gebracht. So wurde sichtbar, wie nationale Interessen und ökonomische Sachzwänge den notwendigen Veränderungen zum globalen Klimaschutz entgegenstehen. Wie können konkrete Utopien mit den Widersprüchen zwischen Klimaschutz und systemimmanenten Sachzwängen sinnvoll umgehen? Was ist ihr Potential, wo liegen ihre Grenzen?
Es diskutieren Jörg Huber, Alexander Neupert-Doppler, Annette Schlemm, Bodo Steffen, Norbert Trenkle.
Zur mangelnden feministischen Solidarität in Folge des 7. Oktobers
Vortrag
Die westdeutsch-ägyptischen Beziehungen der Nachkriegszeit im Schatten des Nationalsozialismus
Buchvorstellung
Analysen im Anschluss in Adorno, Horkheimer und Co.
Buchvorstellung
Herbstakademie
Kongress
Der „progressive“ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Vortrag
Von Judith Butlers Prägung der Queer Theory zur Dekonstruktion des jüdischen Staates
Vortrag
Postkoloniale Studien, Critical Whiteness und Intersektionalitätsforschung in der Kritik
Buchvorstellung
Der „progressive“ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Buchvorstellung
Vortrag
Vortrag
Vortrag
eine kritische Analyse (Online-Veranstaltung)
Vortrag
Vor und nach 10/7
Vortrag
Der „progressive“ Angriff aus Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Buchvorstellung
Der „progressive“ Angriff aus Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Buchvorstellung
Der „progressive“ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Buchvorstellung
Der „progressive“ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung
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