Antisemitismus und postkoloniale Theorie
Der „progressive“ Angriff auf Israel, Judentum und Holocausterinnerung
Buchvorstellung
In postsozialistischen Ländern erscheint die Erinnerung an den Holocaust als bedrohlich für die Erzählung von “uns”, der Mehrheitsbevölkerung des jeweiligen Landes, als dem größten Opfer – der sozialistischen Ära und der sowjetischen Verbrechen. Die Zahl der jüdischen Opfer während der NS-Besatzung war meist deutlich höher als jene der von den Sowjets ermordeten. Dem Zweiten Weltkrieg gewidmete Museen setzen zu Beginn ihrer Dauerausstellungen häufig Hakenkreuz und roten Stern oder Hitler und Stalin gleich, um dann um weiteren Verlauf viel Energie darauf aufzuwenden, zu zeigen, dass die sowjetischen Verbrechen die schlimmeren waren. Für die Darstellung der Verfolgung der eigenen Mehrheitsbevölkerung wird ein besonders Empathie weckendes und immer weiter verbreiteteres Mittel eingesetzt: der Fokus auf individuelle Opfer, ihre Privatfotografien, biographischen Objekte und Zeugnisse. Die jüdischen Opfer hingegen werden immer noch als anonyme Masse oder als bloße Zahlen dargestellt. Wenn Romnja und Roma thematisiert wurden und werden, etwa um im Zuge der EU-Beitrittsbemühungen zu signalisieren, dass das jeweilige Land bereit für ‚Europa‘ sei, dann geschieht dies vielfach auf stereotype Weise. Der Vortrag beleuchtet Erinnerungskonflikte in der Zeit der EU-Osterweiterung ebenso wie heutige autoritäre und oft antieuropäische Backlashs.
Ljiljana Radonić leitet das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanzierte Projekt „Globalised Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals“ am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrem Habilitationsprojekt befasste sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen. Seit 2004 lehrt sie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien über Antisemitismustheorie sowie (Ostmittel-)Europäische Erinnerungskonflikte seit 1989. 2015 war sie Gastprofessorin für Kritische Gesellschaftstheorie an der Universität Gießen, 2017 am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz. Ihre Dissertation schrieb sie über den Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards (Frankfurt: Campus 2010).
Die Veranstaltung ist Teil der Reihe Erinnern als höchste Form des Vergessens?
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