Text/Vortrag im Archiv für kritische Gesellschaftstheorie
Habermas’ Projekt einer Reformulierung der kritischen Gesellschaftstheorie stand von Beginn an im Zeichen einer Auseinandersetzung mit Marx. Habermas’ Kritik am sogenannten ‚Produktionsparadigma’ von Marx lautet, dass es eine Reduktion von „Regeln der sozialen Interaktion“ auf „technisch-utilitäre[...] Regeln der Produktion und der Verwendung von Produkten“ mit sich bringe und so eine verkürzte Konzeptualisierung gesellschaftlicher Praxis darstelle. Der Aufsatz zeigt, dass Habermas durch seinen von den Frühschriften ausgehenden Zugang zu Marx und aufgrund seiner dualistischen Theorieanlage von ‚Arbeit‘ und ‚Interaktion‘ bzw. ‚System‘ und ‚Lebenswelt‘, nicht nur zentrale sozialtheoretische Kategorien von Marx nicht wahrnimmt, sondern grundlegend die Spezifik kapitalistischer Vergesellschaftung verfehlt. Habermas ignoriert vor allem die formanalytische Differenzierung von abstrakter und konkreter Arbeit, die Marx erst im Kapital ausformuliert. Als Kernproblem der Habermasschen Gesellschaftstheorie erweist sich, dass mit der Ersetzung des Begriffs ‚Produktionsverhältnis’ durch den des ‚institutionellen Rahmens’, bzw. der ‚Interaktion’ einerseits und des Konzepts des ‚Subsystems zweckrationalen Handelns’ andererseits, der innovative Gehalt des ökonomiekritischen Gesellschaftsbegriffs verfehlt wird, wobei Sozialtheorie in eine äußerliche Kombination von symbolisch-interaktionistischem Reduktionismus und systemtheoretischer Affirmation gesellschaftlicher Entfremdung transformiert wird. Gesellschaft löst sich in die Dualismen von Arbeit und Interaktion, Technik und Ethik, Mensch-Ding- und Mensch-Mensch-Verhältnissen auf. Dabei vollzieht Habermas eine Trennung des Klassenverhältnisses von seiner gegenständlichen Vermittlung, d.h. seinem im engeren Sinn ökonomischen Charakter, sowie eine Verharmlosung verselbständigter ökonomischer Mechanismen zu vor allem handlungsentlastenden Kommunikationsmedien mit dem Ziel der Nutzenmehrung und optimalen materiellen Reproduktion. In Anlehnung an Moishe Postone und Dieter Wolf wird dagegen gezeigt, dass Produktion und Arbeit bei Marx im Gegensatz zur Habermasschen Deutung zweidimensionale Kategorien darstellen, die sehr wohl neben dem Inhalt normativer Regelungen selbst eine Form gesellschaftlicher Einheit im Kapitalismus darstellen und konstitutiv zum Verständnis moderner Herrschaftsverhältnisse sind.
(zuerst erschienen in: S. Rapic (Hg.): Habermas und der Historische Materialismus. Freiburg 2014)
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