Text/Vortrag im Archiv für kritische Gesellschaftstheorie
In seinen geschichtsphilosophischen Thesen formulierte Walter Benjamin den seither häufig zitierten Satz, es sei »niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.« Auch Kunst, die sich hoch über das gesellschaftliche Leben erhebt, habe gleichwohl teil an dessen gewalttätiger Reproduktion. Und sei es nur dadurch, daß sie dem unschönen Dasein unweigerlich einen Anstrich von Schönheit verleiht. Dies hat Adorno später als den »konservativen Aspekt« eines jedes Kunstwerks bezeichnet, dessen »Existenz hilft, die Sphären von Geist und Kultur zu befestigen, deren reale Ohnmacht und deren Komplizität mit dem Prinzip des Unheils nackt zutage treten.« In der Beurteilung dieses Schuldzusammenhangs waren Benjamin und Adorno einig. Einig waren sie aber auch darin, daß die Konsequenz daraus nicht lauten könne, Kunst und Kultur zu dispensieren und zynisch der unmaskierten Barbarei das Wort zu reden. Dem Unbehagen in der Kultur zu entkommen, dürfe nicht heißen, sich auf die tierische Natur zurückzuziehen, sondern im Gegenteil die von der zweiten, gesellschaftlichen Natur geschaffenen Bedingungen des Lebens zu ändern, die für das
schlechte Gewissen der Kultur im wesentlichen verantwortlich sind. Uneins hingegen waren sie in der Beantwortung der Frage, wie im Medium der Kunst selbst die Barbarei, deren Dokument sie sein soll, reflektiert werden könne in der Hoffnung, jenen Zustand vielleicht einmal real abzuschaffen.
(Vortrag in Tiflis vom 8. Mai 2007)
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