Die Herrschaftsorganisation des modernen Kapitalismus unterscheidet sich Karl Marx zufolge grundlegend von allen vorherigen Gesellschaftsformationen. Während die Individuen früher nur voneinander und von der Natur abhingen, seien sie heute zusätzlich einem sachlich-anonymen Zwang der ökonomischen Verhältnisse untergeordnet. Dem entspricht auf der politischen Ebene die ‚Herrschaft des Gesetzes’. Anonyme Herrschaft hebt sich hier von den persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen des Feudalismus ab und wird im bürgerlichen Selbstverständnis als vernünftige Ordnung der Gewalt dargestellt, die jenseits menschlicher Willkür verortet sei.
Der Begriff anonymer Herrschaft soll im vorliegenden Band ausgehend von Marx’ Diagnose einer ‚sachlichen Abhängigkeit’ im Kapitalismus entwickelt und auf seine Leistungen und Grenzen hin befragt werden: Wann liegt eine reale Verselbständigung von Staat und Kapital vor, wie unterscheiden sich moderne von vormodernen Herrschaftsformen und wann schlägt die Theorie in eine ideologische Anonymisierung von Herrschaft um? Um diese und weitere Fragen zu erörtern, werden auch alternative Konzepte anonymer Herrschaft behandelt, wie die neuere angelsächsische Machtdebatte, Heideggers Technikphilosophie, Bourdieus allgemeine Ökonomie der Praxis, Kelsens Idee der Normherrschaft oder Arendts Totalitarismustheorie.
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