Die Beharrlichkeit des ’Engelsismus’

Bemerkungen zum "Marx-Engels-Problem"

Die Marx-Rezeption des traditionellen Marxismus wurde vom Mythos der Einheit des Marxschen und Engelsschen Werks beherrscht. Seit den 1920er Jahren, beginnend vor allem mit Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein, begann außerhalb der partei- und staatsoffiziellen Doktrin die Infragestellung dieses Mythos. Ihren Höhepunkt erreichte die Kritik an der inhaltlichen Gleichsetzung der theoretischen und methodischen Ausrichtung der beiden ,Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus‘ allerdings in der neuen Marx-Lektüre der 1970er Jahre. Der traditionelle Marxismus galt dieser vornehmlich als Produkt der Engelsschen Kommentare, die keineswegs kongenial das Marxsche Vorgehen in seiner Ökonomiekritik erfasst hätten. Marxismus im Singular erschien daher eher als ,Engelsismus‘. Die fortschreitende Edition Marxscher Originalmanuskripte und ihrer Bearbeitung durch Engels im Zuge der MEGA2 hat die Diskussion der Differenzen zwischen Marx und Engels dabei zusätzlich angeregt. Michael Krätke beansprucht nun in einem neuen Beitrag zum „Marx-Engels-Problem“, Engels’ Editionstätigkeit im Zusammenhang mit Marx’ Kapital gegen den Vorwurf der Verfälschung zu verteidigen. Er kann zwar teilweise gute Argumente gegen diese Behauptung vorbringen, doch an einigen wichtigen Stellen verwischt Krätke, offenbar ganz und gar von seinem Vorhaben der Engels-Rehabilitierung eingenommen, entscheidende methodische und gegenstandsbezogene Differenzen zwischen Marx und Engels und erneuert damit unfreiwillig den Mythos vom kongenialen Engels.

(erschienen in Marx-Engels-Jahrbuch 2007)


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